Am 25. April 1945 wurden die polnischen Zwangsarbeiter in der Wilhelmsburg befreit. Seit 1942 befanden sich in Łódź (damals Litzmannstadt) Produktionsstätten der Firma „Telefunken“. Als sich die Front 1944 der Stadt näherte, wurden die Werkstätten u.a. nach Ulm in die Wilhelmsburg verlegt. Selbstverständlich mitsamt den polnischen Arbeitern. Es waren vor allem junge Mädchen, im Alter von 15 bis 17 Jahren, die zum „Fabrik-Inventar“ gehörten und deren junge, geschickte Hände für die Herstellung der Röhren P-2000 benötigt wurden. Die Wilhelmsburg wurde zu einem Arbeitslager für die polnischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, das sie nur mit Sondergenehmigung verlassen durften.
„Ich bin eine von denen, die 1944 mit den ganzen Telefunken-Werken aus Łódź nach Ulm verschleppt wurden. Die Deutschen schafften alles – bis auf den letzten Nagel – nach Ulm und selbstverständlich waren vor allem wir notwendig, wir, die Zwangsarbeiter.“ (Daniela Agopsowicz – S. „Schönes schreckliches Ulm“. Hrsg. Silvester Lechner. Ulm, 1996)
Die polnischen Zwangsarbeiter erlebten in der Wilhelmsburg schwere Zeiten. 12-Stunden Arbeit am Tag, schmutzige, kalte Stuben, Wanzen und Läuse, schlechte Ernährung, Demütigungen, Misshandlungen und dazu noch die Sehnsucht nach der Heimat und die Angst um die Familie.
Und dann kam der April 1945. Immer öfter flogen Jagdflugzeuge über die Wilhelmsburg, die Bombardierungen der Stadt intensivierten sich.
Am 24. April 1945 wurde die Stadt Ulm befreit. Einen Tag später, am 25. April, marschierten amerikanische Soldaten in die Wilhelmsburg ein.
„Die deutschen Soldaten verließen die Festung und die Amerikaner befreiten uns am 25. April. Als die Amerikaner (es waren nur wenige) um 10 Uhr morgens in der Wilhelmsburg standen, weinten wir vor Glück. Wir versammelten uns auf dem Hof (wir waren sehr, sehr viele) und es fand der erste Appell statt. Ein Freund von uns hisste die weiß-rote Fahne auf dem Turm, und wir sangen das Lied „Rota“. Unser Schluchzen unterbrach das Singen und übertönte die Worte… Ende April und Anfang Mai war eine besondere Zeit für uns. Alles freute uns, wir waren frei und jung, und der Frühling war in diesem Jahr wunderschön…. Unsere Festung war jetzt ein Übergangslager für Menschen, die mit den LKWs in die Heimat zurückkehren konnten. Die Telefunkenarbeiter wurden nach Ludwigsburg gebracht“. (Daniela. Adamiak. S.: Schönes, schreckliches Ulm“. Hrsg. Silvester Lechner. Ulm, 1996).
Bereits am Tag nach der Befreiung Ulms begann die amerikanische Militärregierung sogenannte Displaced Persons-Camps (DP-Camps) einzurichten. Zu den DP‘s gehörten alle ausländischen Zivilpersonen, die sich auf Grund von Krieg und Verfolgung nicht in ihrer eigentlichen Heimat aufhielten und nicht ohne Hilfe zurückkehren konnten. Insgesamt über 15.000 DP’s hielten sich Ende April 1945 in Ulm auf, v.a. Zwangsarbeiter*innen, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene. Um eine schnelle und gut organisierte Rückkehr gewährleisten zu können, errichteten die US-Amerikaner an verschiedenen Standorten in der Stadt DP-Lager.
Eines davon befand sich seit dem 25. April 1945 in der Wilhelmsburg. In der um 1845 errichteten Festungsanlage hatte die Firma Telefunken 1944/45 unter katastrophalen Bedingungen hunderte polnische Zwangsarbeiter*innen für die Rüstungsproduktion ausgebeutet. Innerhalb weniger Wochen wurden dort nun Wohngelegenheiten für mehrere Hundert DP‘s geschaffen. Seit September 1999 erinnert eine Gedenktafel an die Geschehnisse, die dort bei einem Besuch ehemaliger polnischer Zwangsarbeiter*innen eingeweiht wurde.