Das frühe KZ Oberer Kuhberg – „Württembergisches Schutzhaftlager Ulm/Donau“
Das Jahr 1933 und die Errichtung der frühen Konzentrationslager
Nicht einmal zwei Wochen nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933, die insbesondere für die Kommunist*innen schon keine „freie Wahlen“ mehr waren, errichtete das nationalsozialistische Regime im Zuge der Machtübernahme ab Mitte März überall im Deutschen Reich Lager zur Ausschaltung seiner politischen und weltanschaulichen Gegner*innen. Die juristische Grundlage war der nach dem „Reichstagsbrand“ vom 27. Februar 1933 ausgerufene Staatsnotstand und die am Tag danach erlassene „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“. Damit wurden einerseits wesentliche Grundrechts-Artikel der Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt; und andererseits wurde das Prinzip der „Schutzhaft für Staatsfeinde“, welches sich außerhalb des staatlichen Justizsystems befand, in Gang gesetzt.
Im Deutschen Reich entstanden 1933 mindestens 80 Orte, an denen über 100.000 Menschen in „Schutzhaft“ genommen wurden. Viele dieser Orte wurden zunächst offiziell als Konzentrationslager bezeichnet. Dazu gehörte ab dem 20. März 1933 für Württemberg-Hohenzollern das Lager Heuberg bei Stetten am Kalten Markt. Hier waren schon in den ersten Wochen nach der Errichtung über 2.000 württembergische (und auch einige badische) Kommunisten und Sozialdemokraten zum Zweck der „Umerziehung“, wie es in breiter propagandistischer Publizität hieß, inhaftiert. Als die Gebäude des KZ Heuberg, eine Kaserne des Ersten Weltkriegs, für den Aufbau der Wehrmacht benötigt wurden, wurde das Lager zum Ende des Jahres 1933 geschlossen. Als Landes-KZ ersetzte es ab November 1933 das „Württembergische Schutzhaftlager Oberer Kuhberg, Ulm/Donau“. „Schutzhaftlager“ diente nun als die offizielle Bezeichnung, vor allem weil der Begriff „Konzentrationslager“ international negativ wahrgenommen und die Lagerpraxis massiv kritisiert wurde. Dem wurde mit einer Propagandakampagne begegnet.
Das Gebäude des Ulmer KZ, das Fort Oberer Kuhberg, wurde um 1850 als Teil einer groß angelegten, ganz Ulm und Neu-Ulm umfassenden Bundesfestung Ulm erbaut. Sie war am Wiener Kongress 1815 vom Deutschen Bund beschlossen und zwischen 1842 und 1857 realisiert worden. Die Bundesfestung und mit ihr die Stationierung von Tausenden Soldaten (vor dem Ersten Weltkrieg etwa 12.000, ein Fünftel der Ulmer Bevölkerung), prägten Ulm fortan in allen Daseinsbereichen, insbesondere politisch und ökonomisch, als Soldaten- und Militärstadt. Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs stand das Fort Oberer Kuhberg leer. Da es schon 1870/71 und 1914/18 (und später wieder 1939/45) als Kriegsgefangenenlager genutzt wurde, bot es sich den Machthabern im Sommer 1933 zu neuer Nutzung als Haftstätte für den „inneren Feind“ an.
Die Häftlinge
Zwischen November 1933 und Juli 1935 waren etwa 600 Männer im Alter zwischen 17 und 71 Jahren im Fort untergebracht; und zwar nicht im zentralen, der KZ-Verwaltung vorbehaltenen, Reduit-Gebäude, sondern in den unterirdischen Festungsgängen. Diese feuchten und kalten Räume ohne Heizung und Sanitäranlagen waren – auch bei der Nutzung als Kriegsgefangenenlager 1870/71 – bisher nicht zur Unterbringung von Menschen verwendet worden. Ein Häftlingsvorabkommando musste die notdürftigen Unterkünfte errichten, bevor das Lager im Dezember 1933 eröffnet wurde. Die Häftlinge, von denen heute etwa 400 mit Namen und Lebensdaten bekannt sind, entstammten weitgehend der württembergischen KPD und SPD. Ab 1934 kamen aber zunehmend auch parteipolitisch nicht organisierte Systemgegner (oft als „Asoziale“ denunziert) und weltanschauliche Gegner wie z.B. drei katholische Pfarrer und ein Vertreter einer evangelischen Freikirche dazu. Als führende Repräsentanten ihrer Parteien waren hier auch Kurt Schumacher als SPD-Reichstagsabgeordneter und Alfred Haag als KPD-Landtagsabgeordneter inhaftiert. Sie waren besonderen Schikanen ausgesetzt, etwa durch die Unterbringung in Einzelhaft-Zellen. In der Häftlingsdatenbank des DZOK finden sich Informationen zu über 400 Häftlingen des KZ Oberer Kuhberg.
Ab 1934 kamen aber zunehmend auch parteipolitisch nicht organisierte Systemgegner (oft als „Asoziale“ denunziert) und weltanschauliche Gegner wie z.B. drei katholische Pfarrer und ein Vertreter einer evangelischen Freikirche dazu. Als führende Repräsentanten ihrer Parteien waren hier auch Kurt Schumacher als SPD-Reichstagsabgeordneter und Alfred Haag als KPD-Landtagsabgeordneter inhaftiert. Sie waren besonderen Schikanen ausgesetzt, etwa durch die Unterbringung in Einzelhaftzellen. In der Häftlingsdatenbank des DZOK finden sich Informationen zu über 400 Häftlingen des KZ Oberer Kuhberg.
Das Lager im KZ-System
Die württembergischen Konzentrationslager Heuberg und Kuhberg werden heute geschichtswissenschaftlich als frühe Lager, als erste Stufe im nationalsozialistischen KZ-System, eingeordnet. Sie stehen in einem engen institutionellen Zusammenhang und unterscheiden sich zunächst vor allem dadurch, dass das KZ Heuberg die Zeit der unmittelbaren Machtübernahme und das KZ Kuhberg das System in der etablierteren Phase der Macht ab 1934 bis Mitte 1935 spiegeln. Indikatoren der Unterschiede sind darüber hinaus etwa der Typus der politischen Häftlinge (am Kuhberg eher der „harte Kern“ der politischen Opposition) und die Methoden der Gefangenen-Behandlung, die sich am Heuberg noch mehr an Normen der Weimarer Zeit orientierten.
Als Gemeinsamkeiten sind festzuhalten:
- die politisch und weltanschaulich und noch nicht rassisch definierten Häftlinge
- Ziel der Gefangenenbehandlung war in beiden Lagern die Brechung des politischen Willens und der psychischen Identität, noch nicht die physische Vernichtung
- die interne „Lagerordnung“ und insbesondere die politische Zuordnung zur Landes-Verwaltung (politische Polizei beim Innenministerium).
In diesen letztgenannten Punkten unterscheiden sich die frühen Lager von der zweiten Stufe im KZ-System, die schon ab Ende 1933 im KZ Dachau entsteht‚ und u.a. geprägt ist von der Zuständigkeit des Reiches in Gestalt der „Inspektion der Konzentrationslager“. Verbunden ist damit eine allgemeine Zentralisierung, Vereinheitlichung und weitere Brutalisierung des KZ-Systems. In diesem Zusammenhang, wird das KZ Kuhberg im Juli 1935 aufgelöst. Die verbliebenen dreißig Gefangenen – unter ihnen Schumacher – werden ins KZ Dachau gebracht. Mit der weitgehenden Ausschaltung der politischen Opposition wurden die Konzentrationslager seit Mitte der 1930er Jahre immer stärker zum Instrument einer sich radikalisierenden rassistischen Verfolungspolitik der Nationalsozialisten. Immer mehr und neue Häftlingsgruppen wurden nun in die KZ eingeliefert. Nach Kriegsbeginn stellten deutsche, aber auch „politische“ Häftlinge nur noch eine Minderheit in den Konzentrationlsagern dar, während Häftlinge aus den überfallenen Ländern zur Mehrheit wurden.
Im Herbst 1942 fiel nach dem Überfall auf die Sowjetunion und dem Scheitern der deutschen „Blitzkriegsstrategie” die Entscheidung für die totale Ausbeutung der Arbeitskraft der Häftlinge in der Rüstungsproduktion. Die „Vernichtung durch Arbeit“ wurde zum wichtigsten Kennzeichen der späten Konzentrationslager. In Württemberg entstanden in dieser Zeit noch einige Dutzend Außenlager der Konzentrationslager Natzweiler-Strutthof, Dachau und Buchenwald. Parallel zur Ausweitung der Sklavenarbeit wurden die Konzentrationslager auch in den Dienst der gezielten Tötungen an kranken und behinderten Menschen, sowie des systematischen Massenmords an der jüdischen sowie der Roma- und Sinti-Bevölkerung gestellt. Das frühe Konzentrationslager Oberer Kuhberg steht für die Anfänge des KZ-Systems, das sich in den zwölf Jahren seines Bestehens ebenso radikalisierte wie der Nationalsozialismus und seine rassistische Verfolgungspoltik unter den Bedingungen des Zweiten Weltkriegs selbst.